5 Prinzipien, die Unternehmen von Google lernen können

Derzeit trägt das Internet zu 25 Prozent dem deutschen Exportwachstum bei (lt. einer Studie des IW Köln). Damit ist das Internet und somit die Digitalisierung unserer Unternehmen der wichtigste Wachstumsmotor. Doch die Frage lautet, warum es nicht 50 Prozent oder mehr sind?

Wie bereits im ersten Whitepaper erwähnt, tun sich deutsche Unternehmen mit der Umsetzung der Digitalisierung noch immer schwer. Nach einem Besuch im Silicon Valley, zahlreichen Gesprächen mit dort ansässigen Firmen und etlichen Recherchen fasse ich Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse darüber zusammen, was unsere Unternehmen strategisch von den Firmen im „mächtigsten Tal der Welt“ und insbesondere von Google lernen können.

Google gehört tatsächlich zu den digitalen Oldies, wurde die Suchmaschine doch bereits vor der Dotcom-Blase 1998 an der Stanford Universität gegründet. Mittlerweile ist das Unternehmen zum vielleicht spannendsten Zukunftskonzern der Welt geworden. Wer Google noch als Suchmaschine ansieht, hat das Unternehmen die letzten zehn Jahre nicht verfolgt. Google ist in allen relevanten Zukunftsmärkten vertreten und zu einem technologischen Riesenkonzern herangewachsen.

Ich werde mich im Folgenden ausschließlich auf die Erfolgsprinzipien von Google konzentrieren. Die ethische Diskussion, der gesellschaftliche Einfluss, die Monopolstellung, die Datenschutzproblematik und NSA lasse ich an dieser Stelle außen vor.

Digitale Elite im Valley

Um Google besser verstehen zu können, muss man das Umfeld des Silicon Valley betrachten. Das Tal besteht aus einer ganzen Reihe miteinander verwachsener kleiner Städte mit beschaulichen Namen wie Palo Alto („hoher Pfahl“), San Jose, Cupertino, Mountain View und Menlo Park. Palo Alto hat beispielsweise nur etwa 64.000 Einwohner. Auf wenigen Quadratkilometern sitzen hier Facebook, Apple, Google, Evernote, Intel, ebay, Tesla und HP eng beieinander.

Im Silicon Valley hat sich eine ganz eigene Mischung aus Technikjüngern, Intellektuellen, Software-Entwicklern und Kapitalgebern ergeben. Der Begriff disruptiv fungiert als zentrales Leitmotiv und Glaubensbekenntnis dieser digitalen Elite. Disruptiv bedeutet, stigmafrei ganze Branchen und bestehende Abläufe über den Haufen zu werfen und neu zu erfinden. Es gilt das Prinzip, sämtliche Ineffizienzen, die im alltäglichen Leben und Arbeiten entdeckt werden, durch digitalen Service auszumerzen.

Das intellektuelle Zentrum ist die Stanford Universität, die als zentraler Magnet der jungen bildungshungrigen Elite agiert und Entrepreneurship auf Weltniveau vermittelt. Stanford besitzt selbst Anteile an Google.

1. Management als Anführer einer Mission

Für jedes Unternehmen ist das Management entweder der limitierende oder befähigende Faktor der Organisation. Damit ein Unternehmen wie Google erfolgreich wird, braucht die Leitung eine starke und vor allem nutzenzentrierte Vision, die Fähigkeit, diese zu artikulieren, und letztendlich die Kompetenz, die Vision in die Tat umzusetzen. An dieser Stelle half Eric Schmidt von 2001 bis 2011 als CIO aus.

„Das Ziel von Google ist es, die Informationen der Welt zu organisieren und
für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen.“ – Google

Informationen sind für Menschen zu jeder Zeit elementar bis überlebenswichtig gewesen. Im Fall von Google ist es der Wunsch, diese Informationen jedem frei zugänglich zu machen. Genau nach diesem Muster agiert das Unternehmen, wenn es Services kostenlos freigibt, Internetballons in Afrika aufbaut oder an Roboterautos arbeitet. In dem eigenen 10-Punkte-Manifest machen die Gründer Larry Page und Sergey Brin das Wertegerüst fest: „Konzentriere dich auf den Nutzer, alles andere wird folgen“, „Demokratie im Internet funktioniert“ oder „Sie können auch ohne einen Anzug ernst genommen werden“. Im Kern sind das seit 17 Jahren die Werte, auf denen Google seine Innovationsgewalt aufgebaut hat.

2. „Unleash staff creativity“ – eine Lösungskultur schaffen

Wenn ich an die Unternehmenskulturen in deutschen Konzernen denke, dann sind diese vielleicht der wichtigste Punkt, warum sich Unternehmen in der digitalen Welt so schwertun. Es gibt noch zu viele Abteilungen, die gegeneinander arbeiten, Führungskräfte, die „die da unten“ kontrollieren, und eine 9-to-5-Arbeitskultur. Das ist nicht der beste Nährboden für innovative Lösungen, die die Kunden den Unternehmen abfordern. Das Problem besteht allerdings nicht nur aufseiten des Managements, sondern auch auf der Seite der Erwartungen und Erfahrungen der Mitarbeiter.

„Du musst den Kampf umarmen, um erfolgreich zu sein.“ Ben Horowitz, Venture Capital Investor

Google schafft auf seinen Campus in Mountain View die perfekten Arbeitsbedingungen für seine Mitarbeiter. Das sind nicht nur Fahrräder, kostenloses Essen, Ruhezonen, Parks, kreative Räume, Cafés. Es verkehren eigene kleine Buslinien, die Google-Angestellte in den Städten abholen. Zudem wird versucht, alltägliche Belange, wie zum Beispiel das Abschließen von Versicherungen, den Mitarbeitern abzunehmen. Den Preis, den die digitale Elite dafür zahlt, ist, dass sämtliche Fähigkeiten und Energien in das Ziel des Unternehmens gesteckt werden. Eric Schmidt dazu: „Sie haben dieses [Verständnis] ‚Ich werde alles tun, was dafür nötig ist, und 24 Stunden pro Tag dafür arbeiten‘“ (Interview in wired.de). Erklären Sie das in Deutschland mal einem Betriebsrat. Fahrräder, Cafés, flexible Arbeitszeiten und kostenlose Verpflegung sind ja nett, aber mit dem deutschen Verständnis von Arbeit inkompatibel. Oder ist das nur eine Frage der Zeit? Vielleicht wäre das der Ansatz, eine Diskussion zum Thema in den Unternehmen anzustoßen. Der lizenzfreie Film „Auf Augenhöhe“, der sich mit den deutschen Arbeitskulturen befasst, kann helfen: http://augenhoehe.jimdo.com.

Es gilt bei Google, weniger eine Unternehmenskultur als eine Lösungskultur für die reale Welt da draußen zu schaffen. Die Organisation als Ganzes wird empowerd, um maximale Ergebnisse zu liefern.

3. User first! Den Nutzer besitzen – danach das Business

Bei vielen digitalen Innovationen, denen ich in Deutschland begegne, geht es in erster Linie darum, die eigenen Probleme oder die des Unternehmens zu lösen. Ich nenne das „Selfish Solution“, da es nur einen einzigen Interessenten gibt: den, der das Problem hat. Für den Nutzer ist das in dem Fall aber irrelevant. Sicher haben Sie jetzt Bilder eigener Projekte im Kopf, die eine solche Selfish Solution waren und später am Realfall Nutzer gescheitert sind.

Es geht in diesem Fall weniger um Usability oder User Experience, sondern darum, die Interessen der Nutzer und des Unternehmens zu verknüpfen. Und das beginnt damit, den erfolgsversprechendsten Nutzer zu identifizieren und seine wahrgenommene Problemwelt zu verstehen. Löst man für den Nutzer ein relevantes Problem, lässt sich darauf basierend das Geschäftsmodell, das zwischen Nutzer und Unternehmen vermittelt, aufbauen. Genau nach diesem Schema ging Google 1998 an den Start: Relevante Suchergebnisse in einer Zeit zu liefern, in der dies für die Nutzer immer schwieriger wurde. Das Geschäftsmodell hat sich dann mehr oder weniger beiläufig im Bereich der Werbeanzeigen ergeben. Dieses amerikanische Urvertrauen oder auch Urverständnis scheint in Deutschland abhandengekommen zu sein.

 

Wir Unternehmen müssen uns zuerst auf die Nutzer konzentrieren und deren Probleme aus dem Weg schaffen. Danach gilt es, diese Nutzer so weit wie möglich an sich zu binden. Nicht anders machen es Google, Apple und Facebook. Diese Unternehmen sehen zu, dass sie bei der Digitalisierung so nah wie möglich an den Nutzern sind. Mit Android konnte Google seine Suchmaschine bis in die Hosentasche verbreiten. Die neue Google-App auf dem iPhone versucht das Gleiche: Dem Nutzer immer wieder zu beweisen, dass bei der Informationssuche nicht Apples Siri weiterhilft, sondern Google die beste Wahl ist. Was Google hier aufbaut, ist Zielgruppenbesitz bis in den letzten Winkel. Das Unternehmen baut praktisch das „Betriebssystem des digitalen Lebens“ auf: hochqualitative Informationssuche, spamfreie E-Mail-Konten, leicht teilbare Kalender, Navigation über Karten, Vernetzung von Informationen über Google+, Verwaltung der eigenen Gesundheitsdaten, digitales Bezahlen und vielleicht zukünftig robotergesteuerte Mobilität – und alles zugänglich über die allgegenwärtigen Smartphones und androidgesteuerten Wearables. Da der Zielgruppenbesitz gewährleistet ist, kann Google mit Werbung Geld verdienen oder über Google Wallet und weitere Dienste sein Geschäftsmodell ausbauen.

4. Virtuelle Service-Instanzen schaffen

Eine Instanz ist – in der Sprache des Silicon Valley – eine digitale Dienstleistung für Nutzer, die erscheint und nach Abschluss wieder geht. Das Prinzip ist an Online-Spiele angelehnt, in denen für Spieler neue Spielbereiche, Instanzen, durch den Zentralrechner für eine Zeit lang erschaffen werden und nach Abschluss wieder verschwinden. Computer erzeugen zuvor festgelegte digitale Räume, in denen sich die Spieler für die Zeit der Nutzung bewegen können. Ist die Instanz nicht mehr notwendig, wird sie aufgelöst.

 

Dieses Prinzip lässt sich hervorragend auf digitale Dienstleistungen übertragen. Ihren Nutzern wird für eine gewisse Zeit ein digitaler Service angeboten, der so lange aktiv ist, wie er benötigt wird. Ist der Nutzer fertig, wird der „Service-Raum“ wieder abgeschaltet. Der Google-Kalender ist ein Beispiel für eine große Instanz. Meldet sich ein neuer Nutzer an, so wird für diesen eine neue „Kalenderweltinstanz“ erschaffen. Möchte er diese mit jemandem teilen, werden die Instanzen für andere Nutzer zugänglich gemacht. Ein anderes Beispiel ist die Suche nach Informationen im Netz. Interessiere ich mich beispielsweise für „Berlin interessante Orte“, eröffnet Google für mich eine Service-Instanz, um mein Interesse bestmöglich zu befriedigen. In dieser Instanz erhalte ich Treffer aus dem Internet, eine Zusammenfassung zu Berlin aus Wikipedia, Fotos und Nachrichten. Bin ich mit der Dienstleistung fertig, wird meine Instanz wieder abgeschaltet.

Das Prinzip der Service-Instanzen ermöglicht neue Denkperspektiven, wie das Interesse von Nutzern befriedigt werden kann. Das Thema Features gerät in den Hintergrund und man macht sich Gedanken darüber, auf welche Art und Weise die Bedürfnisse des Nutzers digital befriedigt werden können. Wurde eine Instanz einmal programmiert, kann sie unendlich oft verwendet werden. Wird das Ganze mit einer Einnahmemöglichkeit gekoppelt, im Fall von Google mit Werbung, werden exponentielle Geschäftsmodelle möglich.

5. Strategischer Zukunftsfokus

Google ist extrem auf Zukunftsfähigkeit ausgelegt. Das Unternehmen ist im Kern auf Innovation angelegt und folgt einer Art Masterplan für den innovativen Superkonzern. Dabei befolgt es vier Schritte.

Schritt 1: Freiheit des Unternehmens gewährleisten. Zunächst hatten es die Gründer vermieden, von den großen Venture-Capital-Gebern übernommen zu werden. Es war Ihnen wichtiger, die Freiheit des Unternehmens zu erhalten. Sie liehen sich dagegen kleinere Summen und behielten nach dem Börsengang die Kontrolle über das Unternehmen.

Schritt 2: Die zukünftige Realität ist bei Google wiederum sehr konkret und reicht etwa fünf Jahre. Das Ganze folgt dem Prinzip, dass Google auf dem Spielfeld genau dort sein möchte, wo der Ball einmal sein wird. Dazu gehört eine Mischung aus klassischen Analysen und einer gewissen Vorstellungskraft, eine Vision zu entwickeln.

„Die Zeitspanne, die ich beim Denken ansetze, sind fünf Jahre.
Ich frage mich: Wie wird die Welt in fünf Jahren aussehen?“ – Eric Schmidt

Interessant ist dabei, dass selbst Eric Schmidt nicht über die fünf Jahre in der konkreten Planung hinaus geht. Google ist sich dessen bewusst, dass man die Welt schwer vorhersagen kann. Man stellt sich vielmehr auf mögliche Herausforderungen ein und denkt in abschätzbaren Zeiträumen.

Schritt 3: Nutzer in allen Lebensbereichen besitzen. Wie beschrieben, hat sich Google in alle digitalen Lebensbereiche vorgewagt. Android ist als mobiles Betriebssystem allgegenwärtig. Wer die Zielgruppe besitzt, kann in Zukunft beliebige Services und Geschäftsmodelle realisieren. Wer sie dagegen nicht besitzt, hat es sehr schwer, die Aufmerksamkeit in der Informationsdichte zu erhalten. Der nächste Schritt für Google ist es, die Nutzer auch zu Hause zu begleiten – andere würden sagen: zu verfolgen. Mit Google Nest existiert ein Anbieter für smarte Heizungssteuerung und ein an die Cloud angebundener Rauchmelder. Die Vermarktung zum Rauchmelder ist im Übrigen hoch interessant: http://goo.gl/bXoL7u.

Schritt 4: Die Technologien der Zukunft besetzen – BNR. Was sind die Zukunftstechnologien schlechthin? Das sind Biotechnologie, Nanotechnik und Robotik. Das Unternehmen hat sich in alle drei Bereiche eingekauft und verfügt damit über alle relevanten Technologien des 21. Jahrhunderts. 2013 hat Google ingesamt sechs Unternehmen aus der Roboterbranche gekauft. Damit kann es sich im Bereich der Roboterautos weiterentwickeln und an neuen intelligenten industriellen Produktionsverfahren arbeiten. Mit Nanotechnologie lassen sich dagegen zum Beispiel Kontaktlinsen erzeugen, die als medizinisches Gerät dienen oder virtuell Informationen ins Auge einblenden können. Auch hier wird Google ein gewisses Handeln unterstellt. Im Bereich der Biotechnologie arbeitet Google an einer Art Pille, die Krebs aufspüren soll (http://goo.gl/weV0v3). Egal, was in zehn oder 20 Jahren einmal Wirklichkeit werden wird, Google hat bereits heute das Rüstzeug dafür.

Dass Google im Hintergrund an einem Masterplan arbeitet, ist offensichtlich. Darüber schwebt die Vision, Menschen alle Informationen frei zugänglich zu machen. Interessant ist, was deutsche Unternehmen aus diesem Vorgehen für sich selbst lernen können. Wenn Sie mögen, würde ich mich über eine Diskussion freuen. Was halten Sie von den „Lektionen“, die Google lehrt? Und was würden Sie für sich ableiten? Schreiben Sie mir doch Ihre Gedanken anbei als Kommentar.